Mindestens 36 Tote, 45 Schwer- und 21 Leichtverletzte war die traurige Bilanz eines Zugunglücks am Bad Zwischenahner Bahnhofs am 20. November 1944, als ein aus Richtung Leer kommender Sonderzug auf einen auf Gleis 1 wartenden Güterzug prallte. Eine Katastrophe von besonderer Tragik – denn die meisten Opfer des Unglücks waren nicht freiwillig vor Ort. An Bord des Sonderzugs befanden sich rund 1.500 Niederländer, überwiegend zwischen 17 und 40 Jahre alt, die in Deutschland zur Zwangsarbeit eingesetzt werden sollten. Sie stammten in der Mehrzahl aus Rotterdam, wo sie während der deutschen Razzia vom 10. bis 11. November 1944 festgenommen worden waren.
Zu den Rettungsarbeiten rückte unter anderem der Hilfszug mit Arztwagen des Bahnbetriebswerkes Oldenburg Hauptbahnhof an, außerdem waren das Rote Kreuz und Feuerwehren aus Oldenburg und der ganzen Umgebung im Einsatz. Zur Erstversorgung wurden die Verletzten in die Wartehalle des Bahnhofs und in die Bahnhofsgastronomie gebracht, bis zum Weitertransport in das Peter-Friedrich-Ludwig-Hospital sowie weitere Krankenhäuser in Oldenburg, in das Westersteder Krankenhaus oder in das „Krankenhaus Sonderanlage Aktion Brandt“ am Hahner Busch in Rastede.
Randnotiz: Im März 1935 hatte eine „Großübung der Hilfeleistung eines bei Bad Zwischenahn angenommenen Eisenbahn-Unglücks“ der Reichsbahndirektion stattgefunden. Ob diese Übung beim Einsatz am 20. November 1944 möglicherweise hilfreich war, ist aus heutiger Sicht allerdings schwer zu beurteilen.
27 Niederländer und vier Angehörige des deutschen Zugpersonals verloren an diesem Tag am Bahnhof Bad Zwischenahn ihr Leben, mindestens fünf der Schwerverletzten erlagen noch in derselben Nacht beim Transport oder in den Krankenhäusern ihren Verletzungen. Die in Bad Zwischenahn verstorbenen Niederländer wurden am 24. November 1944 zunächst auf dem evangelisch-lutherischen Friedhof in Bad Zwischenahn beigesetzt. 1952 wurden sechs von ihnen in die Niederlande, 21 Verstorbene zum Friedhof Bremen-Osterholz überführt. Dort gibt es ein Ehrenfeld für niederländische Kriegsopfer, die in oder in der Nähe von Bremen ums Leben gekommen sind.
Im Rahmen seiner Recherchen zu Schicksalen niederländischer Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter hat Günter Heuzeroth dieses Zugunglück akribisch aufgearbeitet und konnte noch zahlreiche sowohl niederländische als auch an den Rettungsarbeiten beteiligte deutsche Zeitzeugen ausfindig machen.
Es sind zum Teil beklemmende Schilderungen, die tiefe Einblicke in das Geschehen von damals gewähren. So fand Heuzeroth zum Beispiel heraus, dass der Lokführer des Sonderzugs ursprünglich die Fahrt gar nicht hatte übernehmen wollen, da er zwei Tage und zwei Nächte nicht geschlafen hatte. In der Folge ist er vermutlich am Steuerstand eingeschlafen und übersah das entscheidende Haltesignal. Die traumatischen Erlebnisse führten bei den Beteiligten noch Jahrzehnte später zu Alpträumen vom Kreischen des Zuges und von den Schreien der Verletzten. Drei der Überlebenden besuchten 45 Jahre nach dem Zugunglück Bad Zwischenahn, um gemeinsam mit Bürgermeister Jonny Hinrichs und Vertretern des Rates sowie interessierten Bürgerinnen und Bürgern der verstorbenen Landsleute zu gedenken, aber auch um einen Abschluss zu diesem Lebensabschnitt zu finden.
Am 20.11.2024, 80 Jahre nach dem Zugunglück, wurde am Bahnhof eine Gedenktafel enthüllt, um noch einmal angemessen und auf Dauer an dieses Ereignis zu erinnern.
Bildnachweis:
Pressestelle Gemeinde Bad Zwischenahn
Archiv Günter Marken
Günter Heuzeroth
Quellennachweis:
Nachrichten für Stadt und Land vom 15.03.1935 (Archiv Günter Marken)
NWZ, Der Ammerländer, Ausgaben vom 18.11.1989, 21./22.11.1989, 20.11.2004, 14.11.2024, 22.11.2024
Günter Heuzeroth/Peter Szynka, Unter der Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus. Dargestellt an den Ereignissen in Weser-Ems 1939-1945, Band IV/3: Die im Dreck lebten. Ausländische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und die Lager in den Landkreisen Ammerland, Wesermarsch und Friesland, Oldenburg 1996